„Ein Tag in meinem Leben in Kolumbien“

Claudia Müller-Hoff, Juristin, war von 2003-2005 als ZFD-Freiwillige im Kolumbien-Projekt tätig. Von 2006 bis 2008 koordinierte sie das internationale Büro des Kolumbien-Projekts:

„Ich stehe um sechs Uhr früh auf; ich dusche, frühstücke Kaffee und ein Brötchen und mache mich mit dem Taxifahrer unseres Vertrauens auf den Weg zum Hafen, um mich mit der Koordinatorin der Organización Femenina Popular (OFP) zu treffen. Ich begleite sie heute bei ihrem wöchentlichen Besuch in Puerto Wilches, einem Dorf am Fluss Magdalena, eine Kanustunde nördlich von Barrancabermeja. Wir verlassen Barranca um sieben Uhr morgens, als es immer noch kühl ist. Wir kommen an der Ölraffinerie von Ecopetrol mit seinen rauchenden Schloten vorbei, passieren die Militärkontrolle, wo routinemäßig die Ausweise kontrolliert werden und fahren auf den Fluss hinaus, ins Grüne. Bei der Annäherung an Puerto Wilches ist ein großes Schild der OFP zu sehen: „Wir bringen keine Kinder auf die Welt und ziehen sie groß, damit sie in den Krieg ziehen“. Das erinnert mich an die Graffitis, die die AUC (Paramilitärs) strategisch an Häuserwände malen, um ihre Präsenz zu demonstrieren – der Vergleich macht mir noch einmal deutlich, welche starke politische Bedeutung dieses Schild hat.

Wir durchqueren das Dorf bis wir das Frauenhaus erreichen, eins von zwölf Frauenhäusern der OFP in der Region Magdalena Medio. In diesen Häusern gibt es jeden Tag ein billiges Mittagessen für alle. Gleichzeitig bieten sie den Frauen einen Ort für Unterricht (z. B. im Fertigen von Kunsthandwerk oder im Friseurhandwerk als mögliche Einkommensquelle, zu Gesundheit und Menschenrechten), um Aktionen vorzubereiten oder um sich einfach nur zu erholen. Das Frauenhaus von Puerto Wilches befindet sich in einem der ärmsten Viertel des Ortes. Hier begrüßen wir Ana María und Elsa, die Köchinnen. Die Koordinatorin bespricht ein paar Neuigkeiten mit ihnen und beginnt dann mit dem Rundgang – zu Fuß. Sie glaubt nicht daran, dass wir mit dem Fahrrad weit kommen würden, denn nach dem Regen heute früh sind die Straßen ganz schlammig. Jetzt, es ist fast neun, scheint die Sonne und es ist schon sehr heiß.

Die Koordinatorin hat eine lange Liste von Besuchen vor sich – in Häusern von Familien und Frauen, die mit der OFP zusammenarbeiten: Sie nehmen an Treffen und Weiterbildungskursen teil und arbeiten bei Mobilisierungsaktionen, Demonstrationen etc. mit. Sie sind immer bereit, sich gegenseitig zu helfen, indem sie ihr Haus zur Verfügung stellen und ihre Zeit, ihre Diskretion und Solidarität schenken. Überall werden wir willkommen geheißen; ein „Gläschen Wasser“ oder ein „Tässchen Kaffee“ wird angeboten.

Wir besuchen ein Haus, in dem drei Generationen auf 25 Quadratmetern leben. Im nächsten Haus treffen wir eine allein erziehende Mutter mit ihren fünf Kindern. Sie beschwert sich, dass die Regierung nicht einen Peso für die Kinder zahlt. Sie hat keine Arbeit – natürlich nicht, mit fünf Kindern! Gegenüber dem Haus sitzt eine alte Frau. Sie freut sich sehr über den Besuch der Koordinatorin. Sie bringt uns Stühle und ein Glas Wasser. Nach und nach treffen die Nachbarinnen ein, innerhalb von fünf Minuten ist es eine Versammlung von acht Frauen.

Ein Grund für den Besuch der Koordinatorin ist Mobilisierung der Frauen zu einer Demonstration in Barrancabermeja. Damit soll eine Konferenz der „Sozialen Frauenbewegung gegen den Krieg“ unterstützt werden, die von der OFP organisiert wird und an der Delegationen aus zwölf Ländern teilnehmen. Die Frauen diskutieren über die Demonstration. Außerdem tauschen sie sich über einen weiteren Toten aus, den man gefunden hat (War er ein Paramilitär? Ein Guerrilla-Kämpfer? Keines von beidem?) und darüber, dass die Polizei in Wilches 30 Mann Verstärkung erhalten wird.

Um vier Uhr nachmittags verlassen wir Puerto Wilches, damit wir in Barranca noch vor Einbruch der Dunkelheit ankommen – aus Sicherheitsgründen. Um halb sieben komme ich zuhause an. Zum Abschluss des Tages muss ich noch meinen Bericht über die Begleitung schreiben, die E-Mails durchschauen, die während des Tages eingegangen sind, und mit meinen Teamkolleg_innen meine Erfahrungen des Tages beim Abendessen besprechen. Ein letzter Blick auf den Wochenplan: morgen begleite ich ein Mitglied von CREDHOS bei seinem Rundgang durch Barranca…“